Heute ist der 27. Juni 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“. Diesmal: Nach einer optimistischen Ausgabe kehrt das alte Russland zurück. Diesmal: Die repressivsten Gesetze seit Jahren – und ein Ombudsmann für Kinderrechte, der lieber keiner sein sollte.
Liebe Leserinnen und Leser! Pavel Lokshin in dieser Woche verhindert. Ich vertrete ihn – mein Name ist Denis Trubetskoy, ich arbeite als freier Politik- und Sportjournalist mit Schwerpunkten Ukraine und Russland – und ich bin mir ziemlich sicher, dass mich einige ständige RLW-Leser kennen. Wer bisher keine Ahnung hatte, wer dieser Trubetskoy ist, kennt mich spätestens ab jetzt. Aber keine Panik, Lokshin ist nächste Woche wieder da – versprochen!
Ich habe sehr gehofft, dass ich in meiner RLW-Ausgabe auch meine Lieblingsrubrik „Die gute Nachricht aus Russland“ wiederbeleben kann. Doch Russland lässt sowas leider nur selten zu. Stattdessen muss ich heute mit einer superschlechten Nachricht loslegen: Der 24. Juni 2016 wird als ein trauriger Tag in die Geschichte der russischen Demokratie eingehen. Die russische Staatsduma hat am Freitag das so genannte „Jarowaja-Paket“ bewilligt, benannt nach der Abgeordneten Irina Jarowaja. Der Vorstoß gilt als die repressivste Gesetzesinitiative seit Jahren. Repressive Gesetze sind in Russland keine Neuigkeit, aber diesmal ist die Sache wirklich ernst.
Die zwei skandalträchtigsten Gesetzesänderungen aus dem Jarowaja -Paket sind zwar noch vor der zweiten Lesung aus dem Gesetzestext verschwunden, viel besser wurde das Ganze dadurch jedoch nicht. Die Strafmündigkeit ab 14 Jahre wurde stark ausgeweitet, die Strafen für Extremismus wurden verschärft, religiöse Missionare machen sich bei ihrer Arbeit ab jetzt strafbar, und und. Die schlechteste Nachricht ist wohl die große Vorratsdatenspeicherung, die vergleichbare Gesetze im internationalen Vergleich spektakulär übertrifft. Provider müssen alle über ihre Kanäle übertragenen Daten ein halbes Jahr lang speichern, nicht nur die Verbindungsdaten. Letztere müssen drei Jahre lang gespeichert werden. Es ist fraglich, dass all diese Maßnahmen die Qualität des Antiterrorkampfes erhöhen – es ist hingegen wahrscheinlich, dass der Kampf gegen Terrorismus nur ein Vorwand für die Änderungen ist – eher geht es um die Kaltstellung der Kremlkritiker im Internet. Der Föderationsrat und der Präsident müssen dem „Jarowaja-Paket“ noch zustimmen, doch dies gilt zu Recht als Formsache. Meduza hat die wichtigsten Aspekte zusammengefasst.
Ein anderes trauriges Thema: Der russische Kinderrechtsbeauftragte Pawel Astachow schafft es in seiner Heimat immer wieder in die Schlagzeilen. Jahrelang war er im Fernsehen als Richter in einer beliebten TV-Show zu sehen, seit Ende 2009 ist der berüchtigte Ex-Fernsehmacher mit Nähe zu Putin für die Menschenrechte der Kinder in Russland verantwortlich. Mehrmals sorgte Astachow mit seinen umstrittenen Aussagen für Ärger und Kritik. Nachdem etwa im Mai 2015 der Polizei-Chef von Tschetschenien eine 17-jährige Schülerin heiraten wollte, sagte er unter anderem: „Wir wissen doch, dass die Emanzipation im Kaukasus schneller kommt. Es gibt doch Orte, wo die Frauen im Alter von 27 Jahren so wie unsere 50-Jährige aussehen.“ Ob ein Kinderrechtsbeauftragter nach solchen Aussagen überhaupt im Amt bleiben darf? In Russland schon.
Nun folgt Astachows nächster Kracher – aus einem noch traurigeren Anlass. Bei einer Bootstour, die wegen der schlechten Wetterverhältnisse auf dem Ladoga-See (übrigens der größte See Europas!) eigentlich nie stattfinden sollte, sind in in der nordrussischen Republik Karelien sind mehr als 10 Kinder ums Leben gekommen. Als die Überlebenden der Bootstour mit einem Flugzeug nach Moskau gebracht wurden, fragte Astachow sie: „Na, wie war das Schwimmen?“. Astachows Frage wurde zum Internet-Meme, die kreative Seite „Batenka, da wy transormer“ sammelte die besten Variationen. Doch am Ende ist Astachows Kommentar zum Unglück in Karelien nur eine Kleinigkeit. Wie die Kinder ums Leben kamen, und wer für ihren Tod wirklich verantwortlich ist – das gilt es jetzt rauszufinden.
Auch das Thema Brexit spielte in Russland in dieser Woche eine große Rolle. Während die russischen Staatsmedien die Idee des EU-Ausstiegs Großbritanniens lange unterstützen, hat sich der Ton kurz vor der Abstimmung gedreht. „Die Argumente der Brexit-Gegner sind sehr stark – und die Migranten-Befürchtungen der Befürworter sind meist Vorurteile“, meinten die Moderatoren der staatlichen Radiowelle Westi FM am Wahlabend. Das pro-Brexit-Ergebnis wurde am Ende doch eher positiv wahrgenommen, obwohl das übliche Europa-ist-am-Ende-Gerede meistens ausblieb.
Aber was bedeutet der Brexit nun aus russischer Sicht? Pavel hätte an dieser Stelle Julia Latynina zitiert, die umstrittene Star-Publizisten der Nowaja Gaseta. Und das tun wir auch: „Im Endeffekt haben die Engländer gegen Sozialismus gestimmt“, meint Latynina in ihrer neuen Kolumne. „Es ist nicht wahr, dass Sozialismus nur Sowjetunion, Stalin und Gulag bedeutet, das ist der militärische Kommunismus. Der richtige Sozialismus ist eine Demokratie, die sich in die Bürokratie verwandelt. Genau das ist der Europäischen Union passiert, genau dagegen haben die Briten gestimmt.“ Eine Zusammenfassung, die bestimmt nicht jeder unterschreiben wird.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.
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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin
RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.