Heute ist der 6. Juni 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“. In dieser Ausgabe: von einem TV-Propagandamacher, der – wie man zu Sowjetzeiten zu scherzen pflegte – mit der Parteilinie schwankte.
Liebe Leserinnen und Leser, über das russische Agenda-Setting mit der Brechstange – gestern Krim, heute Donbass, morgen Syrien – ist schon viel gesagt worden, auch hier. Wer heutzutage bei den staatsnahen Medien arbeitet, ist eben maximal flexibel und bereit für die wildesten Schwenks der Kreml-Agenda. So wie Wladimir Solowjow, Moderator einer abendlichen Politsendung beim staatlichen Sender „Rossija“ und beliebter Vortragsredner auf russischen Bühnen, stets mit Mao-Anzug. Warum der Mao-Anzug? Fragen Sie mich nicht.
Letzte Woche ging im russischen Internet dieses Video herum: das berühmte Moskauer Tschechow-Kunsttheater, 29. November 2013. Solowjow auf der Bühne bei seiner üblichen politischen One-Man-Show, Mao-Anzug und alles. Eine Zwischenfrage:
DAME AUS DEM PUBLIKUM: Wird denn die Möglichkeit diskutiert, die Krim zurückzuholen?
SOLOWJOW: Gott bewahre! Wie stellen Sie sich das auch vor?… Wozu brauchen Sie die Krim?
Und los geht es, Solowjow läuft zur Hochform auf. Die Dame aus dem Publikum gehört wegdiskutiert. Warum man denn nur die Krim zurückwolle, und etwa nicht Finnland, oder Polen, oder die „zentralasiatischen Republiken“. Warum man denn nicht einfach das Russische Zarenreich in den Grenzen von 1905 zurückwolle. Wo zieht man die Grenze – gut, reductio ad absurdum an dieser Stelle. Dann eine kleine Erinnerung an den Wert der Gesetze: Chruschtschow habe die Krim „absolut legitim“ der Ukraine übergeben.
Schließlich: Wenn man den Krim zurückwolle, bedeute das „Krieg“.
SOLOWJOW: Wie viele ukrainische und russische Leben wollen Sie opfern, um die Krim zurückzuholen? Die Krim, die längst krimtatarisch ist? Schlagen Sie vor, die Krimtataren zu vernichten?
Auch seien die Bewohner der Krim „dagegen“, russisch zu werden. Und einen Krieg wolle niemand.
Vier Monate später, im Frühjahr 2014, feiert der perfekte Konformist Solowjow natürlich das so genannte Krim-Referendum und besingt unaufhörlich die Bedeutung der Krim-Heiligtümer für die russische Geschichte und den russischen Staat. Das Los der Krimtataren interessiert ihn plötzlich gar nicht mehr. Flexibel? Wie es sich eben gehört.
Sehr unterhaltsamer (und trauriger) Einwurf dazu von Alexej Nawalny: der Oppositionelle weist darauf hin, dass Solowjow für seine Aussagen von 2013 heute locker in den Knast käme. Wer die Zugehörigkeit der Krim zu Russland infrage stellt, gilt schwupps als Separatist und bekommt Besuch vom FSB.
Und wie reagiert Solowjow, konfrontiert man ihn mit seinem Monolog von 2013? So:
„Die Krim haben wir nicht genommen. Die Bewohner der Krim haben selbst ihre Wahl getroffen.“
Dafür hundert Patriotismus-Punkte.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.
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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin
RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.