RLW #47: Putins Privatarmee

Heute ist der 11. April 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“. Das Thema diesmal: Wozu der russische Präsident seine eigene „Nationalgarde“ braucht.


Liebe Leserinnen und Leser, wie finden wir heraus, ob Wladimir Putin Angst hat? Verdunkelt sich der Himmel? Regnet es Schlangen und Kröten? Entsteigt der Begründer der sowjetischen Geheimpolizei – der „eiserne Felix“ Edmundowitsch Dscherschinski – seinem Grab, um Wladimir Wladimirowitschs Feinde in die Unterwelt zu zerren? Entgegen Gerüchten ist Putin leider kein geopolitischer Voodoo-Zauberer. Er belässt es bei einer Reform.

Und die hat es in sich: Mit seinem überraschenden Ukas von 5. April hat er die „Nationalgarde“ geschaffen, die direkt seinem Befehl untersteht. Die offiziellen Aufgaben: Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus. Für Letzteres ist bereits der Inlandsgeheimdienst FSB zuständig, aber gut, eine zusätzliche „Struktura“ kann in Russland ja nie schaden. Die traditionsreichen „Kampftruppen des Innenministeriums“, eine wahrhafte Säule der sowjetischen Staatsrepression, führt jetzt in neuer Form der ehemalige Chef-Leibwächter Putins Viktor Solotow weiter. Zusammen mit OMON-Spezialeinheiten und anderen Kampfverbänden unter Solotow verfügt Putin über eine gut ausgestattete Privatarmee von bis zu 200.000 Mann. Sogar mit eigenen Schützenpanzern, Helikoptern und Transportflugzeugen.

Die Vorgänger der Nationalgardisten haben sich für den sowjetischen Staat als sehr nützlich erwiesen: Für den Genossen Stalin deportierten sie die Krimtataren und die Tschetschenen, bekämpften nach dem Zweiten Weltkrieg die antikommunistischen Partisanen im Baltikum und schlugen den sowjetischen Volksaufstand in Nowocherkassk im Jahr 1962 nieder.

Nun, offensichtlich glaubt der Kreml, die Dienste der Jungs bald wieder gebrauchen zu können. Und zwar vorbei an alten Ressortzuständigkeiten. Der Kreml rüstet sich institutionell gegen mögliche Aufstands- und Unruheszenarien in Krisenzeiten vor den Dumawahlen im Herbst und den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren, schreibt der russische „Forbes“.

Ähnlich sieht es die „Nesawissimaja Gaseta“:

„Die Staatsmacht versucht einerseits, dem Volk Mut zu machen – die Schäden durch Sanktionen halten sich in Grenzen, der Westen leidet unter ihnen stärker als wir, Russland kommt schon zurecht, das Ausland hat bloß Angst vor uns und möchte unsere Entwicklung hemmen. Die Berichte der Soziologen sprechen von himmlischen Vertrauenswerten für die Regierung. Gleichzeitig schafft man auf Befehl von ganz oben eine Kraft, die auf eine mögliche Transformation der ökonomischen Unzufriedenheit in politische Proteste reagieren soll… So wird’s von all jenen gelesen, die auf die Straße zu gehen bereit sind: Die Staatsmacht ist bereit, ihnen einen Kampf zu liefern.“

Den hätten den Demonstranten natürlich auch die alten Strukturen des Innenministeriums liefern können, die nicht gerade im Ruf stehen, Putins Autorität zu bezweifeln. Die Schaffung einer neuen Institution könnte eine „symbolische Geste“ sein, glaubt Oleg Kaschin:

„Putin zeigt, dass Machtstrukturen, die zum Lösen landesinterner Probleme bestimmt sind, nicht weniger Status und Prestige haben als die Armee oder die Geheimdienste… Der symbolische Status-Aufstieg der Truppen des Innenministeriums ist wie ein neues Sternchen auf dem Dienstgradabzeichen, und zwar für alle beteiligten… Nicht nur Solotow ist jetzt nah bei Putin, sondern alle seine Untergebenen, bis zum letzten OMON-Kämpfer.“

Kann man einfache Soldaten mit Status ködern, geht es für den Chef selbst um viel mehr. Solotow ist aus unverblümtem Eigeninteresse am Erhalt des Putin-Systems interessiert, glaubt Alexej Nawalny. Schließlich ist er ist nicht irgendein kleiner General mit einer gemieteten Staatsdatsche: Allein nach offiziell veröffentlichten Angaben besitzt seine Familie Immobilien, die auf dem Markt umgerechnet etwa 8,6 Millionen Euro wert sind. Solotow genießt den Ruf eines Mannes, der nicht nur bereit wäre, in die Menge zu schießen, er täte es sogar ganz gern. Wenn nicht für das Vaterland, so doch zumindest für seine Millionärsanwesen – im heutigen Russland eindeutig der richtige Mann am richtigen Ort.


Danke für die Aufmerksamkeit!

Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.

Russland letzte Woche gibt es als Blog und Newsletter.

Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin

RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.