RLW #3: Russisches Fox News / Kreml gegen Protestwähler / Weg mit der Freiheit, her mit der Größe

In dieser Ausgabe vom 7. Juni 2015

  • Bald russisches Fox News?
  • Weg mit der Freiheit, her mit der Größe
  • Kreml gegen Protestwähler
  • Zahl der Woche: 42. Nein, nichts mit Douglas Adams.
  • Video der Woche: Puschkin als Waffe


Ach, was für Jungens haben sich hier zusammengetan. Iwan Ochlobystin, “patriotischer” Schauspieler und Schwulenhasser. Sachar Prilepin, der als Schriftsteller die, sagen wir, traditionelle Männlichkeit besingt und am Liebsten mit Arseni “Motorola” Pawlow auf einem Panzer durch Donezk düst. Der “patriotische” Science-Fiction-Autor Sergej Lukjanenko, der ukrainische Übersetzungen seiner Bücher verboten hat und deswegen von Wladimir Putin höchstpersönlich eine Zurechtweisung bekam.

Diese Geistesgrößen wollen nun einen eigenen “konservativen” Fernsehsender gründen. Es gebe eben liberale Medien, aber kein konservatives Gegengewicht, klagt Ochlobystin in einem Interview. Staatliche Medien wiederum seien doch zur “Objektivität” verpflichtet. Konservative Positionen hätten dort keinen Platz. Objektivität und keine konservativen Positionen, gut. Es darf gelacht werden.

Die Anschubfinanzierung dieser für die “russische Welt” lokalisierten Fox News-Kopie soll gerade einmal 1,5 Milliarden Dollar betragen. Wo das Geld herkommen soll, ist noch unklar. Mitte des Monats soll es eine Pressekonferenz geben. Wahrscheinlich wollen die “Konservativen” beim Staat zumindest für Kreditgarantien betteln, wie schon Michalkow für seine ur-slawische Fastfood-Kette.

1,5 Milliarden Dollar, das entspricht ungefähr der Hälfte des Jahresbudgets aller BBC-Fernsehsender zusammengenommen oder etwa ¾ des ZDF-Jahresbudgets. Viel Geld also, das man verschwinden lassen kann, wenn es einmal fließt. Aber seien wir ehrlich, der Kreml wird solchen Spinnern nach der “Abberufung” Strelkows wohl nicht einmal einen Satellitensender erlauben.


Die russische Seele! Sie hält das Land zusammen. Oder war’s die leidensfähige, starke russische Frau? Irgendwas war da doch. Ähnlicher Gedanke, westlicher formuliert: ein unausgesprochener Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und Volk stabilisiert Russland. Nach der Krim-Annexion wird er neu geschrieben, meint Carnegie-Analyst Alexander Baunow. Und zwar nicht zu Gunsten der Gesellschaft.

Aber Moment, was war denn davor? Baunow holt ordentlich aus. Im Spätsozialismus war die Kernthese: Freiheit und Wohlstand gegen Frieden. Innerer Monolog des typischen Sowjetbürgers: Wir durchleben nicht gerade fette Jahre, von wirklicher Freiheit kann keine Rede sein, aber noch einmal Weltkrieg, noch einmal 30 Millionen Menschen verlieren? Nicht mit uns. Den Amis jagen wir zwar Angst ein, aber wir wollen nicht einen Atomkrieg wagen.

Der Deal der späten Jelzin-Zeit war Freiheit gegen Wohlstand. Weg mit dem Geschacher der Politiker und dem Chaos in der Duma. Freiheit ist nur ein Wort, macht aus uns einfach ein anständiges erste-Welt-Land. Egal wie. Unter Putin wurde der neue Deal zum Teil erfüllt, schreibt Baunow, aber unerwartet kam der Wunsch nach nationaler Größe wieder auf. Ein Phantomschmerz der Sowjetzeit, als man zwar nichts hatte, aber eben “groß” war – vielleicht, weil die Formel “Freiheit gegen Wohlstand” eben nicht für alle funktioniert hat.

Die neue Abmachung macht einem Angst: Wohlstand und Freiheit gegen Größe. Das schließt die Möglichkeit eines Krieges ein, weil “Größe” sich eben auch im Krieg bewährt. Die neuerliche Verschiebung des Deals erklärt auch die leichtsinnige Kriegsrhetorik im Staatsfernsehen – zu Sowjetzeiten wäre sie undenkbar gewesen.

Die neue Abmachung hat nur ein Problem: “Größe” ist schlecht messbar, meint Baunow. Ob gerade Weltkrieg herrscht, ob das Leben besser ist als vor zehn Jahren – diese Fragen können beantwortet werden. “Größe” hingegen ist schwammig. Wenn sich Russland auf den neuen Deal einlässt, droht ein Verlustgeschäft. Lesenswerter Essay, wer Russisch kann, mal los!


Die Duma-Wahl wird vorverschoben. Das ist ausgemachte Sache, heißt es aus Regierungskreisen. Womit sollten wir dann rechnen? Zum Beispiel mit spürbar sinkender Wahlbeteiligung. Die Wahlbeteiligung bei den regionalen Dumawahlen im September 2014 war im Vergleich zwischen fünf und dreizehn Prozent niedriger als im Jahr 2009 – da fanden die Wahlen in den meisten Regionen im März statt.

Wahrscheinlich wird die Regierungspartei “Geeintes Russland” ihre Resultate verbessern. Seit der Einführung des “vereinheitlichten Wahltags” im September haben die Kremlfreunde konsequent mehr Stimmen eingefahren, trotz fallender Wahlbeteiligung. Ein ungünstiger Wahltermin bedeutet eben weniger Protestwähler.

Die Strategie, die Wahlbeteiligung klein zu halten, könnte für den Kreml aber unerwartete Folgen haben. Bei der Bürgermeisterwahl in Moskau 2013 setzte die Regierung auf Passivität der Protestwähler. Die Anhänger von Alexej Nawalny waren allerdings ganz und gar nicht passiv und verschafften ihrem Kandidaten 30 Prozent der Stimmen. Für den Sieg hat es zwar nicht gereicht, aber immerhin für Angst und Schrecken im Regierungslager.


Zahl der Woche – 42.

Nein, es ist nicht die Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest. So oft hat der für die Rüstungs- und Raumfahrtindustrie zuständige Vizepremier Dmitrij Rogosin die Chaos-Baustelle des Weltraumbahnhofs Wostotschnyj besucht. Wie oft er dabei geflucht hat, ist nicht überliefert.


Video der Woche

Zum 216. Geburtstag des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin ein paar Szenen aus “Backenbart”, der prophetischen Komödie von Juri Mamin. 1980er, Perestorika, eine brutale Jugendbewegung gewinnt Zulauf in einer Provinzstadt. Sie tragen Backenbart wie “unser ein und alles” Puschkin, und wer ihnen blöd kommt, kriegt einen drauf mit dem Spazierstock. Der Film stammt von 1990, ein Vierteljahrhundert später hat der Kreml aus russischer Kultur eine Waffe gemacht.


Danke für die Aufmerksamkeit!

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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin