RLW #22: Krieg als Seifenoper, Medwedew, Strelkow

Heute ist der 18. Oktober 2015 und das ist „Russland letzte Woche“. Die Themen: Seifenopern aus der Hölle, die Ehre von Dmitri Medwedew und die merkwürdige Wandlung des Donbass-Separatisten Igor Strelkow.

Was hat die „Lindenstraße“ mit dem russischen Syrien-Einsatz zu tun? Nun, der Syrien-Einsatz ist die neueste Folge einer Seifenoper, die sich in der Realität abspielt, schreibt der Politologe Andrej Kolesnikow in der liberalen „Wedomosti“. Der Kreml inszenierte erst die „unblutige“ Krim-Annexion, dann den Krieg gegen die Ukraine im Donbass, nun ist Syrien dran, denn für Russlands Eliten sei ein ununterbrochener Krieg zur einzigen Möglichkeit des Machterhalts avanciert. Dem Volk haben sie ansonsten nichts zu bieten. Das Ziel des Kremls ist der Krieg als Hintergrundrauschen – ohne unmittelbare Gefahren für die Mehrheit der Russen und ohne ein absehbares Ende.

„Das Ziel – der Machterhalt – kann eine Fortsetzung des militärischen Festmahls in Form eines Triumphzugs notwendig machen. Diese Maschine kann nach Krim, Donbass und Syrien nicht mehr gestoppt werden. Neben rationalen Motiven – der Verschiebung der Aufmerksamkeit von der Wirtschaftskrise auf siegreiche Bombardierungen und dem Erhalt der hohen Umfragewerte des Oberhaupts mindestens bis zur Präsidentschaftswahl 2018 – spielt hier die Eigendynamik der militaristischen Hysterie eine Rolle.“

Deswegen dürfte der Kreml die Geographie der russischen Militär-Seifenoper nur ausweiten, warnt Kolesnikow. Neue Ziele und neue Feinde sind schnell gefunden: Man kann auch Afghanistan bombardieren. Und in der Arktis, immer eine gute Idee: mehr Militärpräsenz. Wir sollten also mit neuen Videobeweisen für die imperiale Größe Russlands rechnen – und vielleicht mit neuen Kriegseinsätzen.

Was macht eigentlich Wladimir Putin, wenn er gerade keine real-life-Seifenoper dreht? Richtig, er demütigt seinen Premier und Ex-Tandem-Partner Dmitri Medwedew. Der ehemalige Präsident bekam an seinem 50. Geburtstag Mitte September den „Verdienstorden für das Vaterland“ erster Klasse verliehen – also die zweithöchste staatliche Auszeichnung Russlands. Sehen Sie, der Dima, der bleibt für immer Nummer zwei! Haha!

„Kommandeur erster Klasse“ ist die übliche Auszeichnung für altgediente Volksschauspieler und sonstige halbwegs staatshörige Kulturschaffende. Aber diese Schokoladenmedaille für einen Premier? Selbst Medwedews Regierungskollege Sergei Schoigu war Putin im vergangenen Jahr einen „Orden des Heiligen Andreas des Erstberufenen“ wert. Der Verteidigungsminister bekam also die höchste russische Auszeichnung. 

Wladimir Golyschew sieht in der Verleihung des, ehm, fragwürdigen Ordens ein schlechtes Omen für Medwedew – und auch für Russland: Offenbar wurde die Ehrung rückwirkend ausgesprochen und einen Tag nach dem vorprogrammierten insta-Scheitern von Medwedews geplanter Syrien-Mission in Washington bekanntgegeben. Was bedeutet es, wenn Washington den ranghöchsten „Liberalen“ ignoriert, damit Putin ihn daraufhin demütigt?

Nun, sagt Golyschew, den USA sind wetteifernde Fraktionen innerhalb der russischen Eliten herzlich egal, genau wie Russlands Versuche, die transatlantischen Beziehungen zu normalisieren. Die Würfel sind gefallen, Putin kommt aus der Isolation nicht mehr heraus, und Russland könnte den Jahrestag der Februarrevolution von 1917 als ein frisches Putin-freies Land begehen. Klingt übertrieben? Verbuchen wir’s als traditionelle russische Apokalyptik, die uns das Blut in den Adern gefrieren (oder wahlweise kochen) lässt.

Erinnert sich noch jemand an „Igor Iwanowitsch Strelkow“, bürgerlich Igor Girkin? Weltkriegs-Reenacter, stolzer Träger von Offiziersuniformen aus dem Zarenreich, Monarchist, die Hand, die auf den Auslöser des Donbass-Kriegs drückte, und so weiter und so weiter. Mit anderen Worten: der allzu forsche Ex-Kriegsminister der „Volksrepublik Donezk“, den der Kreml vor rund einem Jahr nach Moskau zurückholte. Der Mann übte sich in wenig glaubwürdigen pro-Putin-Erklärungen und wuselte ansonsten mit seiner „Noworossija-Bewegung“ mit Sitz in Moskau herum, finanziert aus unbekannten Quellen.

Und jetzt? Noworossija ist vorbei, verkündigte „Strelkow“ neulich. Der Kreml habe das „Projekt“ zugunsten des Syrien-Einsatzes aufgegeben. Was bleibt zu tun? Natürlich für Spiegel-Selfies mit der 22-jährigen Gattin posieren. Strelkows Zwirbelschnauzer ist ab sofort ironisch – aus dem Terroristen wurde ein Hipster. Peace out.

Danke für die Aufmerksamkeit!

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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin

RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.