RLW #21: Syrien, Islamisierung, Rappen für Putin

Heute ist der 11. Oktober 2015 und das ist „Russland letzte Woche“. Die Themen: Moskaus Syrien-Einsatz als „easy war“, Islamisierung in Einbildung und Realität, last but not least: ein Geburtstags-Rap für Wladimir Putin.


Die russischen Abendnachrichten machten in den letzten Wochen eine faszinierende Entwicklung durch: Das Not leidende Brudervolk im Westen und seine faschistischen Herrscher verschwanden spurlos aus der TV-Propaganda. Die blutrünstige Junta machte Platz für den edlen Kampf der russischen High-Tech-Armee gegen die syrischen Islamisten. Das Thema ist noch relativ neu, schreibt Andrej Perzew bei Carnegie.ru, doch die Regeln seiner Präsentation stehen schon längst fest – der Syrieneinsatz ist ein „easy war.“

In den Reportagen aus Syrien folgen auf Bilder des Soldatenalltags Aufnahmen startender Bomber und Berichte über erfolgreich zerstörte Ziele. Dampfende Feldküchen, moderne Unterkünfte mit Klimaanlagen, „atmungsaktive“ Spezialsocken für die Armee – und Drohnenaufnahmen explodierender Bunker, zur Verfügung gestellt vom ungewöhnlich offenen Presseamt des Verteidigungsministeriums. Die Erzählweise suggeriert: Dieser Krieg kann nur gewonnen werden. Unsere Jungs sind in Sicherheit, der IS kann ihnen nichts. Was ist dieser IS überhaupt? Eine Explosion, gefilmt aus unbedenklicher Entfernung. Die Islamisten schaffen es nicht einmal bis zur russischen Basis, wie sollen sie erst nach Russland kommen?

„Russland zeigt allen seine Kraft. Nur das universell Böse leidet, Verluste sind nicht zu verzeichnen. Also gibt es auch keine unnötigen Zweifel: Haben die Zivilisten bombardiert? Sind unsere Jungs umgekommen? Führen vielleicht Krieg gegen die Falschen? Präzisionswaffen, keine Opfer, wir führen Krieg gegen den Terrorismus. Helle, etwas kühle Farben – Sand und blauer Himmel.“

Der Kontrast zur Geheimoperation auf der Krim und dem verwirrenden Ukraine-Krieg könnte größer nicht sein – die Ukrainer waren aus der Sicht der Propaganda eindeutig die Bösen, doch Russland kam nicht mit einem bestrafendem Schwert über sie her – jedenfalls nicht mit offenem Visier. In Syrien ist alles eindeutig, hier die Guten, dort die Bösen. Wie lange es noch dabei bleibt?

Ein beliebter Topos der Propaganda und selbst der Alltagskommunikation ist das ewige Verblühen Europas. Die alte Eurasien-Halbinsel geht in der russischen Wahrnehmung zugleich an der Schwulheit („Gayropa“) und der Islamisierung zu Grunde. Wir lassen die spannende Frage außen vor, wie eine Landmasse gleichzeitig schwul und islamistisch sein kann und wenden uns mit Oleg Kaschin dem letzteren Niedergangs-Aspekt zu.

Küchenpsychologisch ist die Lage eindeutig. Der Niedergang Europas hat in Russland Konjunktur, weil die Russen die Probleme des eigenen Landes durch das Niederreden Europas bequem in den Hintergrund rücken können. Wir sind am Arsch, aber ihr seid schwul – und die muslimische Minderheit dreht euch bald den Hals um.

Aber was ist mit der „Islamisierung“ im eigenen Land, fragt Kaschin. Leicht what-about-istisch, aber keine schlechte Frage. Zwar droht weder in Europa noch in Russland das Kalifat, sagt Kaschin. Allerdings auf die Heimat bezogen findet „Islamisierung“ in den russischen Medien einfach nicht statt – und dann wird in Moskau die größte Moschee Europas eröffnet, der oberste Mufti erklärt die Heilige Rus zur „Erbin der Goldenen Horde“ und in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny solidarisieren sich gleich nach dem Charlie-Hebdo-Attentat auf Geheiß Kadyrows tausende Muslime solidarisch mit den Mördern von Paris. Ihre „Allahu akbar“-Rufe überträgt das Staatsfernsehen live, und gemäßigt atheistische Russländer zwischen Kaliningrad und Wladiwostok verfallen in Schockstarre. Was sagt uns das? Dass die interethnischen Beziehungen in Russland weit von jener Normalität sind, die uns das Kreml-Fernsehen suggeriert.

Aber hey, alles super! Russland ist, wenn der populäre Rapper mit jüdischen und tatarischen Wurzeln unter dem Künstlernamen Timati Wladimir Putin ein Geburtstagsständchen reimt. Nun, die Qualität der Reime können wir hier nicht beurteilen. Der „verdiente Schauspieler der tschetschenischen Republik“ hat viel zu sagen: „Mein bester Freund ist Präsident Putin“, der „coole Superheld.“ Für die Dreharbeiten ließ der Rapper den Roten Platz absperren. Genug Kritik. In diesem Land ist alles möglich!


Danke für die Aufmerksamkeit!

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Russland letzte Woche gibt es als Blog und Newsletter.

Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin

RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.